Rhaban Straumann, Olten

Schauspieler / Satiriker

Foto: Remo Buess
© Rhaban Straumann

Schrei im Morgengrauen

Ein Schrei reisst mich aus dem Schlaf. Laut das Tier. Der Lautstärke nach müsste es riesig sein. Hier jedoch, mit den vielen Seen in flacher Landschaft, klingt alles lauter. Die Stimmen vom Seeufer, das Kinderlachen, die Vogellaute. Frühmorgens in Südschweden.Mit dem Schrei kommen Bilder. Erinnerungen. Verknüpfungen. Ein Vogelzug über Olten. Kraniche. Weiss nicht mehr wann. Jetzt, beim Weckruf ist es Sommer 2018. Schweden brennt. Und ich im Freiwilligeneinsatz für ausgewanderte Schweizer. Angesagt sind Zaun bauen, Haus abbürsten und neu streichen, Steg erstellen und Schilf schneiden. Der heisseste Job, den ich bislang hatte. Passt zur Hitze. Wate mit der Sense bis Brust tief durchs Wasser. Schilf bearbeitend. Rasen mähen muss ich nicht. Alles braun. Zu trocken. Zu heiss. Zu lange schon. Kleinbauern überlegen sich, ihr Vieh Not zu schlachten. Kaum Futter mehr. Nix wächst. Dafür hat es Wespen ohne Ende. Alleine auf dem Hof hier sind es über ein Dutzend Nester. Anrufe beim entsprechenden Dienst werden nicht mehr entgegengenommen. Sind zu viele. Man solle bitte eine Email schreiben. Oder selber tätig werden wie mein Gastgeber. Wozu nicht offiziell geraten wird. Es wird auch nicht empfohlen, sich gegen das Feuer zu wappnen. Man liest, die Behörden seien auf das Extremereignis von über 50 Waldbränden nicht vorbereitet. Echt jetzt? Nur die Behörden? Beobachten lässt sich Überforderung pur. Wie mit allem, was das Klima betrifft. Wie überall. Dabei stellt unser Hirn doch so faszinierende Verknüpfungen her. Ist fähig für abgespeicherte und gar neue Zusammenhänge. Allgemeingültig ist das offenbar nicht. Es regiert sich leichter ohne Klimawandel.

Rhaban Straumann, 2018
www.strohmann-kauz.ch

Nie wieder Medienabstinenz!

«Where you’re from?» fragt Mann an der Bar. «Switzerland.» «Oh. Ihr habt jüngst das Frauenstimmrecht eingeführt.» Hoffnungsvoller Fehlstart in einer Kleinbrauerei, einem der raren places to be der Hafenstadt Prince Rupert. Ja, die Schweizer brauchten Zeit für diesen Schritt. «Sind bald 50 Jahre seither», sage ich und er: «Nicht zwei, drei?» Kopfschütteln. Sein Nachbar meint: «Ohne Kanada wäre die Welt nichts.» «Why?» «Alle wichtigen Erfindungen sind von uns.» Interessant, denke ich. Und woher kommen die Kanadier? Sagen tu ich: «Bezüglich Sonnenenergie seid ihr im Hintertreffen.» Ein Fehler. Bald glitt mir der Boden unter den Füssen weg – wie die Woche zuvor auf einem Fischerboot auf Haida Gwaii, einer Inselgruppe, wovon auch viele Kanadier nichts wissen. Als Dank für viel Freiwilligenarbeit luden die Gastgeberinnen zum Fischen ein. Klingt simpler als es war, weil viel warten, da Wetter entscheidend. Und da Klimawandel manchenorts wahrer, werden alte Wetterregeln jäh zu Makulatur. Ich freute mich riesig. Bis ich seekrank wurde. Horizont fixieren war keine Devise mehr, drum lag ich. Stets wenn die Gastgeberin «fish!» rief, juckte ich auf und torkelte zur Angelrute in der Hoffnung Fisch sei schneller an Bord denn Magensaft drüber. Auf die Leine fokussierend kurbelte ich mit weichen Knie und schrie stumm: «Wo bleibt das Tier?» Da zog es – man ahnte Lachs – an der Schnur. Folglich gab ich ihm Raum, begann sobald angesagt erneut zu kurbeln und dachte, das nimmt kein Ende! Weit draussen sprang ein beachtlicher Fisch und mir entfuhr ein «Oh!» «That’s your fish», sagte die Gastgeberin. Bitte nicht, bat ich, zu weit, das schaff ich nicht. Arm lahmt. Magen rebelliert. Ein übler innerer Kampf – wie in der Brauerei. Dank längerer Medienabstinenz. Nicht nur freiwillig. Zeitungen im ländlichen Kanada enthalten mehr Autowerbung als recherchierte Artikel. So erfuhr ich mangels Information: Smalltalk macht auf Dauer nicht glücklich, bei interessanten Gesprächen bleibt man zügig aussen vor und der Wahrheitsgehalt des Gegenübers Rede lässt sich nur dürftig diskutieren. Hätte ich gerne. Der Kanadier beharrt, Sonnenkraft sei sinnlos. Plötzlich geht es um eine Flut auf Spitzbergen, die zwei Drittel der internationalen Saatgutbank zerstört habe, was der Beweis für die kleine Eiszeit sei, welche ihrerseits belege, der Klimawandel existiere nicht. Bravo! Sechs Wochen ohne Blick in eine anständige Zeitung! Ich versuchte zu widerlegen, was gesunder Menschenverstand erlaubt, die globale Erwärmung sei erwiesen, gar Tatsache und auf Spitzbergen war ich, aber diese Flut nicht. Ein zweites Bier half beim Argumentieren nicht. Sage, das sei, wie wenn man über Glauben streite und klemme die darob aufkeimende Diskussion mit kollegialem Schulter klopfen ab. Abschied. Zurück im Hostel suche ich verwirrt im Netz. Stelle fest, er hat verdreht, aufgebauscht und schlechte Recherche für bare Münze genommen. Ich hatte Recht. Pech. Fazit? Zum Glück machen schlecht informierte Männer keine Politik. Echt? Ja sonst erginge es vielen wie mir auf dem Boot und dem Lachs, den ich dem Meer entwand.

Rhaban Straumann, 2018
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Drei Sonnenaufgänge über Bivio

Der Rettungshubschrauber wirbelt kräftig Schnee auf. Atmen fällt schwer. Zum Glück kein Pulverschnee. Mit hochgezogenen Kapuzen kauern wir unterhalb des Piz Lagrev und warten bis der Helikopter unsere Kollegin nach Samedan fliegt. Kreuzband futsch. Es ist kurz nach Mitte April und viel zu warm. Im Unterland überholt der Sommer den Frühling während hoch droben ein sommerlicher Bergfrühling mit dem Winter flirtet. Es liegen Schneemassen wie seit Jahren nicht mehr. Täglich erklimmen wir mit Fell und Ski, manchmal mit Harscheisen, stets mit Musse einen Gipfel. Der Bergführer ist besonnen, Bivio die Basis, die Gruppe angenehm und um uns herum herrscht kraftvolles Weiss, Ruhe und Erhabenheit, der ganze überwältigende Kitsch mächtiger Natur. Um das zu erleben muss man früh raus und ist zeitig zurück. Sonst wird es gefährlich. Der Schnee wird schwer, dessen Verhältnisse verändern sich von Hang zu Hang und Lawinen werden spontan. Drum schnallen wir, sobald Heli fort, unsere Skier zügig an und geniessen vorsichtig die Abfahrt. Es ist die Stunde vor Mittag. Gleichzeitig kämpft sich eine Gruppe hoch. Das dauert noch. Wir verstehen es nicht. Staunen über den Bergführer, der das ermöglicht, über die Gruppe, die es wünscht. Fahrlässigkeit am Berg scheint weit verbreitet. Und nimmt zu, je näher das Wochenende. Analog zum Ausflugverkehr am Julier. Und mit ihm sorglos Zigarettenstummel im Schnee entsorgende Tourengänger und Bergführer. Angesichts grosszügig unterschätzter weisser Gefahr und ebenso vorhandenem Defizit an Respekt gegenüber der Natur zweifle ich ehrlich, ob Mensch es jemals schaffen wird, den Klimawandel wahrlich ernst zu nehmen. Mich eingeschlossen. Etlichen wortreichen Beteuerungen folgen stets noch zu zahlreiche Billigflüge. Dabei liessen sich mit etwas Glück an einem Morgen über Bivio gleich drei atemberaubende Sonnenaufgänge geniessen. Wie, das bleibt unser Geheimnis.

Rhaban Straumann, 2018
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